Schriftenreihe des Fördervereins Barock-Solisten: Forschungsprojekt 
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Aus der Mai-Ausgabe der Schriftenreihe des Fördervereins:
MARCELLUS MENKE M.A.
VORBEREITUNG FÜR EIN GESPRÄCH MIT
YEHUDI MENUHIN ÜBER BACHS »SEI SOLO«
(PREPARING AN INTERVIEW WITH YEHUDI MENUHIN ABOUT BACH'S »SEI SOLO«)
Interview im Rahmen des vom Förderverein unterstützten Forschungsprojekts »Interpretationstraditionen
der Bachschen sechs Sonaten und Partiten für Violine solo«

Yehudi Menuhin gilt als einer der größten Geiger des 20. Jahrhunderts. Die Sonaten und Partiten für Violine von Johann Sebastian Bach hat er gleich zweimal komplett auf Schallplatte eingespielt. Die erste Einspielung entstand an nur vier Tagen zwischen 1934 und 1936.[1] Für die zweite Gesamtaufnahme gönnte er sich etwas mehr Zeit. Sie entstand in den Jahren 1956/57.[2] Yehudi Menuhin hat immer wieder seine besondere Beziehung zur Musik Bachs betont. Bereits im Alter von 14 Jahren hatt Yehudi Menuhin bei seiner ersten Reise nach London die C-Dur Sonate (BWV 1005) aufgenommen. Mit dieser Aufnahme beginnt Menuhin seine Diskographie. Man kann ohne weiteres sagen, daß das Werk Bachs im musikalischen Schaffen Yehudi Menuhins schon früh eine bedeutende Stellung eingenommen hat.

Für das Forschungsprojekt »INTERPRETATIONSTRADITIONEN DER BACHSCHEN SECHS SONATEN UND PARTITEN FÜR VIOLINE SOLO«[3] ist es ein äußerster Glücksfall, daß sich Yehudi Menuhin zu einem Interview über die bachschen Sonaten und Partiten bereit erklärt hat. Das Interview wird am 10. Juli dieses Jahres in Frankfurt stattfinden. Im folgenden einige Überlegungen im Vorfeld des Gespräches:

Wie kaum einer seiner Kollegen hat Yehudi Menuhin neben seiner musikalischen Tätigkeit auch eine umfangreiche publizistische Wirksamkeit entfaltet. Viele der Veröffentlichungen von und über Yehudi Menuhin sind Ausfluß und Bestandteil seines weit über den musikalischen Bereich hinausgehenden gesellschaftlichen Engagements. Daneben gibt es eine zahlenmäßig nicht ganz so umfangreiche Gruppe von Veröffentlichungen, die sich direkt mit musikalischen Themen befassen. Bei dem überwiegenden Teil dieser Schriften fungiert Yehudi Menuhin als Herausgeber. Teilweise beschränkt sich das Engagement Menuhins auch auf das Verfassen eines Vorwortes. Bei den unter dem Titel "Yehudi Menuhins Musikführer"[4] veröffentlichten Bänden hat Menuhin im Band "Violine und Viola"[5] den Teil über die Violine selbst verfaßt. Er stellt eine authentische Quelle für die Auffassung Yehudi Menuhins dar.[6] 

Im Jahr 1959 erschien im Bärenreiterverlag eine verkleinerte Faksimileausgabe des 1720 in Köthen entstandenen Autographs der sechs Sonaten und Partiten. Zu dieser Ausgabe schrieb Menuhin ein Vorwort. Er stellt eine Verbindung von Bachs Musikalität und Bachs Handschrift her. Dieses Vorwort ist eine Quelle, die aufzeigen kann in welche Traditionen der Bach-Interpretation sich Yehudi Menuhin stellt, und welches Verständnis von der Rolle des schöpferischen Musikers er vertritt.

Auf der Grundlage der Äußerungen in "Violine und Viola", sowie im Vorwort zur Faksimileausgabe des Bärenreiter Verlages läßt sich bereits als erste Arbeitshypothese ein Bild von Interpretationsverständnis Yehudi Menuhins entwerfen. Heranzuziehen sind dann auf jeden Fall auch noch eine Reihe von Äußerungen im biographischen Material von und über Yehudi Menuhin. Hierzu gehören etwa der Teil im Kapitel 16 der Lebenserinnerungen, in dem er sich über Aufnahmen und deren Bedeutung für den Musiker äußert.[7] Bisher nicht berücksichtigt werden konnten bei der Vorbereitung des Gespräches mit Yehudi Menuhin zweifelsohne wichtigen Äußerungen Yehudi Menuhins in den von ihm erstellten oder autorisierten Rundfunk- und Fernsehproduktionen.

Das Interview sollte so aufgebaut werden, daß es für das Forschungsprojekte zu einem Erkenntnisgewinn beiträgt, der über die in dem verfügbaren Material gegebenen Möglichkeiten hinausgeht.

 

 

Kurzfassung:

Yehudi Menuhin zählt ohne Frage zu den berühmtesten Geigern des 20. Jahrhunderts. Für das Forschungsprojekt »Interpretationstraditionen der Bachschen sechs Sonaten und Partiten für Violine solo« ist es ein Glücksfall, daß es gelingen konnte mit Yehudi Menuhin ein Interview über die bachschen Violinsoli zu terminieren. Im umfangreichen publizistischen Werk Yehudi Menuhins findet sich genügend Material, um sich zur Vorbereitung eines solchen Gespräches ein erstes Bild über seine Interpretationsauffassung zu machen. Gleichwohl bleiben gerade im Bezug auf die wirksamen Interpretationstraditionen entscheidende Fragen ungeklärt.

Yehudi Menuhin bezeichnet die sechs Sonaten und Partiten Bachs als den Grundpfeiler des Violinrepertoires. Wie ordnet er die barocken Werke musikgeschichtlich ein?
Yehudi Menuhin deutet Bachs Musik vor allem als Ausdruck religiöser Überzeugung. Ist dies für die eindeutig weltlichen Werke zulässig? Yehudi Menuhin steht in einer durch seine Lehrer geprägten Tradition. Inwieweit ist er sich dieser Tradition bewußt? Welche Interpretationstraditionen sieht er selber? Yehudi Menuhin steht in der Tradition der Geiger, die Werke des Barock auf sogenannten modernen Instrumenten interpretieren. Inwieweit läßt sich das rechtfertigen? Wie lassen sich die Argumente musikwissenschaftlich einordnen? Was hält Yehudi Menuhin von den in den letzten Jahren erstellten Einspielungen der Bach-Sonaten? Die Sonaten und Partiten Bach finden sich im Konzertrepertoire in der Regel lediglich als Zugaben oder Einzelstücke. Welche Stellung sollten sie nach Ansicht von Yehudi Menuhin einnehmen?

Diese und andere Fragen sollen in dem Gespräch mit
Yehudi Menuhin geklärt werden und zu einem regen Austausch über eine Werkgruppe beitragen, die vielleicht zu einer der interessantesten der Musikgeschichte gehört.

 

 

Sum up:

Out of doubt Yehudi Menuhin is one of 20th century most popular violinists. There seems to be a vivid and deep relationship between Yehudi Menuhin and the music of Bach. Yehudi Menuhin was not even 14 when he made his first recording of a Bach unaccompanied sonata in 1929. Although he already had recorded a dozen short pieces, this recording was his first substantial work in his discography. Yehudi Menuhin is one of the very few Violinists who did a complete recording of Bachs solo pieces twice. The first recording was made on just four days between 1934 and 1936 in Paris and London. Yehudi Menuhin's second complete recording took place in a London Studio from December 1956 to May 1967

It is a great luck for the research project »Performing Traditions of Bach’s 6 Sonatas and Partitas for Violin solo« that it was possible to get a date for a personal interview with the famous violinist. To prepare the interview a good deal of material has to be worked through. In spite of some parts in Yehudi Menuhin's publications that directly refer to Bachs Sonatas and Partitas cardinal questions stay unanswered.

For Yehudi Menuhin the Sonatas and Partitas are the essential basics for the violin repertoire. What about other masterpieces? Yehudi Menuhin is talking a great deal about religious feelings and faith if he speaks about Bachs's music. What about the secular character of concerts and chamber music composed for the evening entertainment at the court of Köthen? Yehudi Menuhin plays on a so called modern instrument. What does he think of the use of so called original Instruments?

These and a lot of other questions will make the interview a vivid dialogue about Bach, his music and the violin: The worlds most famous violinist talking about the violin solos he thinks to bee most important for the violin.

Anmerkungen:
[1] Die Aufnahme ist durch eine in diesem Jahr erschienene Wiederveröffentlichung der EMI als Überspielung der original Schellackplatten auf CD wieder im Handel erhältlich (CHS 7 63035 2). Sie ist ein beeindruckendes Dokument der erstaunlichen Leistung eines gerade einmal 20jährigen Musikers. Die Aufnahme der Sonate Nr. 1 (BWV 1001) und der Partita Nr. 1 (BWV 1002) entstand am 19. Dezember 1935 im Studio Albert, Paris. Die Aufnahme der Sonate Nr. 3 (BWV 1005) erfolgte am 19. Mai 1934 in der Small Queen's Hall, London. Sechs Tage später, am 25. Mai 1934, nahm Menuhin die Partita Nr. 2 (BWV 1004) in Paris auf. Die Aufnahme der Sonate Nr. 2 (BWV 1003) und der Partita Nr.3 (BWV 1006) erfolgte dann am 3. Februar 1936, ebenfalls in Paris. [ZURÜCK ZUM TEXT]
[2] Diese Aufnahme ist seit 1993 wieder in einer digital aufgearbeiteten Fassung als doppel CD der EMI verfügbar (7243 5 69249 25). Die Aufnahme erfolgte in den Abbey Road Studios, London. Zunächst im Dezember 1956 und Januar 1957 und dann noch einmal im Mai 1957. [ZURÜCK ZUM TEXT]
[3] Eine Beschreibung des Forschungsprojektes findet sich in der Januar-Ausgabe der Schriftenreihe des Förververeins (Menke, Marcellus; Interpretationstraditionen der Bachschen 6 Sonaten und Partiten für Violine Solo, in: Schriftenreihe des Vereins der Freunde und Förderer der Gelsenkirchener Barock-Solisten e. V., Heft 1, Januar 1998, [Schriften Förderverein] Seite 11) [ZURÜCK ZUM TEXT]
[4] In Deutsch erschien die Reihe bei Edition Berg (Zug, Schweiz). Band 1: Das Klavier (Louis Kentner), Band 2: Violine und Viola (Menuhin / Preamrose), Band 3: Die Klarinette (Brymer), Band 4: Die Oboe (Gossens / Roxburgh) usw.
Menuhin, Yehudi; Preamrose, William; Stevens, Dennis; Violin and Viola, deutsch: Violine und Viola, Edition Berg, Zug (Schweiz) 1978. [ZURÜCK ZUM TEXT]
[5] Menuhin, Yehudi; Preamrose, William; Stevens, Dennis; Violin and Viola, deutsch: Violine und Viola, Edition Berg, Zug (Schweiz) 1978. [ZURÜCK ZUM TEXT]
[6] Die für die Fragestellung des Forschungsprojektes wichtigen Passagen finden sich auf den Seiten 135 bis 143. [ZURÜCK ZUM TEXT]
[7] Menuhin, Yehudi; Unvollendete Reise, Lebenserinnerungen, München 1976, Seite 418 ff. [ZURÜCK ZUM TEXT]

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