
Im Rahmen der Arbeit für das vom Förderverein unterstützte Forschungsprojekt: INTERPRETATIONSTRADITIONEN DER BACHSCHEN SONATEN UND PARTITEN FÜR VIOLINE SOLO, konnte der Musiker und Philosoph Marcellus Menke am 28.10.98 mit dem Gieger Sigiswald Kuijken in Asse (Belgien) ein Gespräch führen.
Marcellus Menke: Herr Kuijken, was war ihre erste Begegnung mit Musik?Sigiswald Kuijken: Bei mir war das ziemlich merkwürdig, meine erste Begegnung mit Musik war direkt eine bestimmende Begegnung, also sehr wichtige, das war nämlich eigentlich Renaissance Musik. Wir waren so glücklich, daß wir kein Radio Zuhause hatten und keine Schallplatten und eigentlich nur ein Klavier mit ein Haufen Musik da nebenan. Und damals wo ich sieben war, da ist es so gegangen, daß zwei von meinen älteren Brüdern, die sind nach Deutschland gegangen und haben sich in so einer Art Sommerkurs so eine Art kleine Fiedel gebaut, wie das so heißt, so ein Schul‘-Ding und das war eigentlich ja, an sich ein nicht so schönes Ding, aber die hatten auch ein bißchen Musik mitgebracht, und das war Joscan Depres und Orlando Lasso. Und das war eigentlich das erste was unter meine attention kam. Und deswegen hat mich das eigentlich als Kind sehr beeinflußt. Und ich habe auch sofort mit Wieland zusammen mit meinen älteren Bruder da einen Zugang gefunden dazu wie das so Kinder machen können. Als das war ganz, ich würde sagen instinktiv und ohne Wissen, einfach, nur von der Freude aus und das ist nie mehr weggegangen, und von daher habe ich immer alte Musik gesucht und auch auf anderen Instrumenten dann später selber gespielt. Der Grund ist dort gelegt worden.
Marcellus Menke: Sie haben gesagt Instrument auch selber gebaut?
Sigiswald Kuijken: Ja das war so.
Marcellus Menke: Von daher auch die Überlegung, daß man überhaupt einmal darauf kommt sich Gedanken zu machen was für ein Instrument man benutzt?
Sigiswald Kuijken: Vielleicht, aber das ist schon zu intellektuell, wenn man sieben oder acht ist denkt am nicht so. Und das war einfach, das waren so Sommerkurse für Liebhaber, die konnten sich selber was baen, man hätte auch eine Blockflöte bauen können, was man dann nach zwanzig Jahren unter dem Dachboden irgendwo zurückfindet und nicht mehr weiß wo's liegt, ich meine das ist an sich nicht wichtig das Instrument, aber an dem Moment war es wichtig, weil wir hatten nichts anderes und dann ist der Zugang zur einfachen Spielmusik ist einfach dort gewesen. Bezinien aus der Renaissance und sofort haben wir die ganze horizontale Dimension von Kontrapunkt und diese komplizierte Rhythmen auch mit zweistimmigen Sachen genossen, wie Kinder das genießen können, ohne zu wissen, daß das so wichtig war. Aber wir wußten kaum von Bach und Beethoven. Ich meine das ist natürlich ein bißchen merkwürdig, aber so ist diese Evolution bei uns begonnen und das ist eigentlich ein positiver Punkt.
Marcellus Menke: War ihre Entscheidung sich dann mit Musik tiefer zu befassen schon relativ für schon sehr fest? Oder war das eher das das später kam?
Sigiswald Kuijken: Nein das ist eigentlich ...als ich zehn zwölf war wußte ich, daß ich Musiker werden würde.
Marcellus Menke: Mit Zehen zwölf schon?
Sigiswald Kuijken: Weil es hat mir so Freude gemacht, und es ging so selbstverständlich irgendwo und das war eine Entdeckungsreise. Ich konnte nicht ein einziges mal denken, daß ich das zugunsten irgend etwas anderes aufgeben würde. Meine Eltern haben das auch so angefühlt. Das das bei uns so war und haben das auch geschehen lassen. Und uns eigentlich auch stimuliert.
Marcellus Menke: Wie ist der Einfluß der Eltern gewesen?
Sigiswald Kuijken: Ja die warn‘ beide keine Musiker, die haben aber gut beobachtet und gesehen wie wichtig es war für uns und haben sofort gesehen man müßte da nichts im Wege legen. Und haben das auch nicht getan.
Marcellus Menke: Wie ist das dann mit Lehren, da kann ja viel schief gehen, wenn man als junger Mensch begeistert von Musik ist und kommt dann zu einem Lehrer, da kann man Glück haben das er das fördert oder man kann Pech haben. Wie war das bei Ihnen?
Sigiswald Kuijken: Bei uns war das dann so, wir waren hier in der Gegend, aufgewachsen auf dem Lande und sind dann nach Brügge umgezogen, das war 52, und dort ins Konservatorium gegangen, das war ein städtisches Konservatorium, und da war natürlich keine Rede von dieser Renaissance Musik vor allem nicht in den Fünfziger Jahren, da war das völlig Tabu, keiner wußte etwas davon, obwohl in demselben Brügge gibt es doch dieses große Festival und alles, aber damals im Konservatorium in Brügge war natürlich diese Sache war ganz normal, daß man nur Geige und Klavier und Klarinette, was weiß ich, studieren konnte. Und ich hab dann Geige aufgenommen und Wieland hat Klavier und Cello aufgenommen. Aber dies das war dann eigentlich eine andere Spur. Wir haben sofort auch daran Freude gehabt, Aber das war eine andere Spur, wir haben eigentlich die erste Amateur-Spur, die wir als Kind gefunden hatten nie verlassen, und nie vergessen, und immer eine doppelte Buchhaltung gemacht bis Ende der Konservatoriums-Studien in Brüssel. Und da fast Trippel Buchhaltung daß heißt wir sind rausgekommen in Brüssel sechs Jahre nacheinander, weil zwischen Wieland und mir ist fünf Jahre und mit Bark ist noch einmal fünf Jahre, ich bin der Mittlere. Aber dann sind wir da rausgekommen in Brüssel, ich bin vierundsechzig rausgekommen, eigentlich auch nur das traditionelle gesehen und gemacht und studiert. Und sobald ich raus kam habe ich nur alte Musik gemacht und Avantgarde und das was ich im Konservatorium nicht gemacht habe. Das heißt nicht, daß ich nichts gelernt habe, am Konservatorium, ich hab sehr viel gelernt, man hatte das Instrument als Instrument doch auf der traditionellen Weise gelernt zu beherrschen einigermaßen. Und das lohnt sich, das bedeutet auch viel auch wenn man nur noch Avantgarde spielt, die mit der Technik direkt nicht genug hat, aber man findet seinen Weg auf dem Instrument trotzdem durch die Angaben, die man bekommen hat. Mit der alten Musik war das ein bißchen anders, ich hab dann fünf Jahre später so vor allem Ende der sechziger Jahre hab ich mit diese Barock-Technik eigen gemacht, die im Konservatorium überhaupt nicht gelernt habe.
Marcellus Menke: Wie Sind Sie darauf gekommen?
Sigiswald Kuijken: Ja, alleine, eigentlich. Aus Überzeugung.
Marcellus Menke: Haben Sie da ein Buch gelesen oder das ...
Sigiswald Kuijken: Viel gelesen und auch Abbildungen gesehen. Die Hauptsache war eine wachsende Intuition, daß das so nicht weiter gehen konnten. Also ich spielte damals sehr viel also 17. Jahrhundert Musik und so in einer Violinhaltung die eigentlich noch immer kam aus der Konservatorium Haltung, aber ein bißchen mit stilistische Beschränkungen und so weiter, das schon, weiter, aber ich kam doch sehr schnell auf den Punkt wo ich fand, daß zwischen die technische Bedingungen die man mit der Technik so hat und das was von der Musik aus gefordert wurde, daß da eine große Diskrepanz war.
Marcellus Menke: Wie wurde das am Konservatorium unterrichtete?
Sigiswald Kuijken: Nicht. Normal romantische Violine, und dann habe ich nachher als ich weck war viel gespielt, also siebzehntes Jahrhundert, aber alleine, das war dann wieder die alte Spur, die wir wieder zurückgefunden haben auf der Geige und allmählich Barock-Giege natürlich, und 67 haben wir unsere Instrumente umgebaut. Und alles, das war alles diese Zeiten. Aber das ist eigentlich alles eigenen Erfindung gewesen. Es gab damals keine Lehrer für Barock-Violine. Zum Glück würde ich sagen. Als ich kann ruhig sagen ich bin Autodidakt in dieses Sachen. So wie auch Viola da Gamba. Wieland und ich sind beide Autodidakt Gambisten.
Marcellus Menke: Wie ist das, war das von ihnen auch ein bißchen der Versuch sich gegenüber den Lehren abzusetzen? Oder war das eher das das aus der Musik kam?
Sigiswald Kuijken: Das kam aus der Musik. Ich hab mit meinem Lehrer, mit dem ich mich sehr gut verstand, nie diskutiert, ich habe auch nie gefunden er hätte was anderes sagen müssen, oder er hätte das wissen müssen, oder er hätte das oder das. Das war einfach so eine andere Generation. Das es war deutlich, daß von ihm nichts erwartet werden müßte. Das er gerade diese neuen Einsichten unterrichten würde, woher würde er sie gehabt haben? Mann kann nicht einfach so seine Lehrer beschuldigen, etwas nicht zu wissen, was sie selbstverständlich nicht wissen. Das hat keinen Sinn. Und wenn man so glücklich ist, daß man selber etwas entdeckt, was vielleicht der Lehrer nie gesehen hat, dann ist das so, das ist aber kein Grund seinen Lehrer zu kritisieren.
Marcellus Menke: Sie haben gerade kurz angesprochen, daß sie auch Avantgarde Musik gemacht haben. In den meisten Biographien die es über Sie gibt, wird das meistens verschwiegen. Also im Grove steht's drin. Gerade die kürzeren, die die Schallplattenfirmen herausgeben, da streichen sie das meistens raus.
Sigiswald Kuijken: Ich schätze es immer drin.
Marcellus Menke: Wie bedeutend ist das für Sie was Sie da an Avantgarde gemacht haben?
Sigiswald Kuijken: Es war sehr bedeutend. Es gab Jahre von lassen sagen von 65 bis etwa drei / 74 das es fivty fivty war, die alte Musik und die Avantgarde. Wir haben sehr vieles gemacht. Auf der Bratsche: Boulez und Stockhausen, und Pous und alles so. Ich bin sehr sehr froh gewesen damit, und das hat dann aufgehört, eigentlich ohne das das organisiert aufhörte, auf einmal hat sich das ergeben, daß dieses Ensemble im Sand trocken geblieben ist, und ja, so war das dann, und haben das einfach angenommen, und sporadisch dann nachher noch einmal was gemacht. Aber nicht mehr so verrückt wahnsinnig neue Musik, aber dann zum Beispiel dann Webern, oder Schönberg, das schon, solche Dinge.
Marcellus Menke: Beeinflußt die Beschäftigung mit der Avantgarde Musik das Barock-Spiel?
Sigiswald Kuijken: Nein ich finde nicht das das Barock-Spiel beeinflußt, nein, es beeinflußt den Geist, man ist offen, man bleibt offen, im Kopf, wenn man so etwas, sei es nur selten, noch macht, man hat aber die Disponibilität immer noch das. Wir haben auch jetzt noch ein Projekt, nächsten Jahr, Debussi zu machen. Also alle Sonaten und das Streichquartett. Werden Winand und ich erste Geige und Cello spielen, und unsere zwei Töchter, also erste und letzte, spielen dann Bratsche und zweite Geige. Und das ist alles drin, aber, natürlich ist das nicht unsere haupt Arbeit. Aber wir sind so scharf auf dieses Musik, das wir auch gerne noch einmal das machen. Das ist eine Disponibilität, aber beeinflussen, nur insofern, als das man seinen Geist aufgeschlossen hält.
Marcellus Menke: Das widerspricht ja so ein bißchen dem Vorurteil, daß Leute - es sind meisten Leute die sich nicht so gut damit beschäftigt haben - daß Leute die alte Musik machen währen so engstirnig.
Sigiswald Kuijken: Es gibt solche, Es gibt aber auch andere. Unsere Herkunft ist da Gott sei dank nicht so eng.
Marcellus Menke: Würden sie sagen Ihr Interesse an der alten Musik liegt vor allen Dingen in der Freude etwas neues zu entdecken?
Sigiswald Kuijken: Damals war das sehr bestimmt so, denn wir waren damals eigentlich verrückt. Also in 64 wo ich dann so persönlich eingestiegen bin in dem Berufsleben mit der Barockmusik war das noch sehr selten. Es gab schon das Concertus Musikus, es gab Leonard Cosort die machten diese Reihen von Plattenaufnahmen bei "Das Alte Werk" damals noch mit Rolf Erikson. Und das waren besondere Gruppen. Und dann ist das Adari Ensemble zu dem ich gehörte dazugekommen. Und wir haben auch Platten gemacht Erikson und solche Dinge bei Harmonia Mundi Deutschland damals, aber das war, eigentlich wenig und in der Zeit kam dann auch Tom Kopmann mit seiner Musica da Camera und alles, das waren die Anfangsjahre, aber es war nicht sofort deutlich, daß das einen Erfolg haben würde wie es dann gehabt hat. Aber das hat uns damals nicht abgeschreckt, das war nicht die Frage ob das erfolgreich währe, oder werden würde, überhaupt nicht. Wir konnten es nicht lassen.
Marcellus Menke: Das spricht ja dann auch für die Energie die man da reinsetzt.
Sigiswald Kuijken: Es war natürlich, man muß das in dem allgemeinen Kontext sehen. Vielleicht hat das ganze Klima von den achtundsechziger Jahren, - obwohl ich da überhaupt nicht aktiv teilgenommen habe -, Trotzdem damit eine Verbindung. Kann gut sein daß . . Als ich habe immer geglaubt, das etwas in der Luft ist, hing, damals, was diese merkwürdigen Beschäftigungen immer angemutigt hat. Das war natürlich neu und wir haben auch die Avantgardepraxis war damals auch eine Reaktion gegenüber das fossilisierte Musikleben und die alte Musik war genau, von einer anderen Seite eine ähnliche Reaktion. Und das komplettierte sich untereinander, diese beiden kontrastierenden Elemente hatten das gemeinsam, daß sie gegenüber dem traditionellen Musikleben erneuernd arbeiten. Und das war was wir wollten.
Marcellus Menke: Da sehen Sie sich als Musiker also auch immer ein bißchen eingebunden in das gesellschaftliche Umfeld? Und als darauf reagieren?
Sigiswald Kuijken: Weniger und weniger, kann man sagen, aber man ist das natürlich so. Kunst ist immer ein bißchen subversiv. Es ist immer ein bißchen ... es ist zugleich unwichtiger als man denkt, aber es ist auch viel wichtiger als man denkt. Es gibt Leute, die kommen zu einem Konzert und ohne das ich das vermute ist das für sie vielleicht eine Revolution im Leben gewesen, die ich nicht einschätzen kann, vorher, die ich auch nicht aktiv bewirken kann, oder bewirke, wenn ich das spiele, aber dann nachher stellt sich das so raus, aber für andern ist es ein Konzert wie alle andern. Also es ist sehr ... man weiß nicht ganz genau was die Musik in der Gesellschaft für Aktivitäten oder Inaktivitäten bringt. Und das ist das schöne, das ist ein bißchen mysteriös. Und die rechnet dann darauf, daß es nicht Unsinn ist.
Marcellus Menke: Wir haben eben schon ein bißchen etwas gesagt über die Instrumente und so, das würde ich jetzt gerne noch einmal ein bißchen etwas konkret zu sagen. Jemand der so unbedarft in ein Konzert kommt, der sieht da gar nicht so große Unterschiede zwischen der historischen Geige und der Geige, die man eigentlich so in der romantischen Tradition normalerweise spielt, wenn sie jetzt jemandem das erklären wollten, wo würden sie das am ehesten dran fest machen?
Sigiswald Kuijken: Für das Auge von weitem sieht man erst mal daß es keinen Kinnhalter mehr gibt. Das ist deutlich. Wenn man dann noch besser sehen kann und gute Augen hat, sieht man das das Griffbrett ist etwas kürzer, bei der Barockvioline, und das währe es ungefähr. Wenn man dann von nah anschaut, dann wird man sehen, daß der Hals stand meistens anders ist als bei der modernen Geige, das der Hals weniger nach hinten gelehnt ist, daß heißt das der Spannung von der Seite auf dem Steg, dadurch das der Winkel viel flacher ist, Spannung ist weniger, als bei der moderne Geige, Und da kommen wir natürlich direkt im Bereich des Klanges, ich meine wegen dieser kleineren Spannung ist der Klang auch anders. Der Klang ist freier, aber weniger groß. Und mit Darmsaiten, die natürlich auch weniger Spannung geben als eine Metallsaite wird das alles noch,... kommt das alles zusammen, in diese eine Denkrichtung.
Marcellus Menke: Als Sie angefangen haben waren Sie ja Pionier,..
Sigiswald Kuijken: Ja einer von den, ... aber wir waren nicht die Ersten. Ich weiß gut als ich Zwölf war, da hatten wir schon diese Archiv-Platten und so Scola Cantorum Baseliensis mit Wenzinger und dann gab es immer diese kleinen Karten eingelegt, wo stand welches Instrument jeder spielte, dann wurde das schon "Kurzhals-Geige" oder "Barock-Geige" genannt, und da waren schon offenbar die Instrumente ein bißchen verändert gegenüber der modernen Geige. Ja Pioniere waren wir immer noch ein bißchen, aber nicht die ersten. Harnoncour hat mehr pionisiert als wir. Oder Leonhard Consort, ...
Marcellus Menke: Und wie sind sie an die Quellen gekommen?
Sigiswald Kuijken: Och es gibt so viele in allen Bibliotheken. Das haben wir immer ziemlich früh verstanden, daß die Bibliothek in Brüssel, sogar in Brügge in Konservatorium Bibliothek, gab es Originale von zum Beispiel diese Quantz Versuch auf der Flöte, Querflöte zu spielen, gabe's Originaldruck von Couperin Cembalostücke, zufälligerweis, aber das waren alles Anknüpfungspunkte. Und dann ist, Wienand ist natürlich fünf Jahre älter, ist in Brüssel gekommen, hat er hier studiert, ist dann natürlich in die Bibliothek gegangen, und mit anderen Leuten dann zusammengekommen, ja, es gab dieses ganze Klima, wodurch man wußte, daß es viele alten Quellen in den Bibliotheken gab, die man einfach nachlesen konnte, im Leseraum, oder auf Mikrofilm bekommen konnte, das war ja nicht so schwierig, eigentlich.
Marcellus Menke: Da gibt es jetzt ja auch so ein paar Kuriositäten was das Instrument angeht, unter anderem die Geschichte mit dem sogenannten Bachbogen. Da gibt es selbst bei, . . ich hab mich jetzt ja ein bißchen so eingelesen, da gibt es selbst bei eigentlich ganz ernstzunehmenden Musikwissenschaftlern gibt's da noch die Aussagen, daß die meinen daß es wo was gegeben hätte.
Sigiswald Kuijken: Ja, die haben das erfunden. Herr Schering und Herr Schweizer; doch beide nicht so verrückte Kerle, haben wirklich daran geglaubt und haben das man kann sagen erfunden. Die haben so logisch gedacht, die sind ausgegangen von einem völlig falschen Standpunkt. Daß heißt falsch nicht daß er in sich falsch ist, aber die falschen Folgen daraus genommen. Daß heißt wenn man sagt Bach ist so ein Genius, daß es nicht sein kann, daß er etwas schreibt, was man nicht buchstäblich nehmen muß, dann ist das eine falsche Redenierung. Es hat damit nichts zu tun. Ich meine natürlich ist Bach ein großer Genius, aber warum soll er in seiner Notation anders gewesen sein als seine Zeitgenossen? Warum soll auf einmal wenn ein Akkord von Bach mit vier Tönen übereinander steht, geschrieben für ein Streichinstrument, warum soll das auf einmal bei Bach heißen, man soll die vier Töne gleichsam zugleich anhalten solange wie der Notenwert da steht? Das hat .. war nie möglich. Und bei Bach währe das auf einmal Verpflichtung gewesen, weil er ein Genie war. Das ist eine lächerliche Gedanke gewesen. Aber das kommt wohl aus Ehrfurcht. Aus Bewunderung und es ist völlig naiv, aber die Leute waren so unter dem Eindruck von dem großen Herrn Bach, und das verstehe ich, ich gehe auch bis dahin mit, daß sie es für unmöglich hielten, daß es nicht so währe. Wenn die Bach Chaconne so schön geschrieben ist, dann müßte die absolut so gespielt sein wie das geschrieben ist, das ist eine Art von Sachlichkeit, neue Sachlichkeit von Hindemit und anderen, vielleicht hat das damit zu tun, dieses ganze Auffassung, daß die diese ... Man hat kein Phantasie gehabt. Die Leute haben kein Phantasie gehabt. Und haben sogar geglaubt, daß man, um Bach zu verstehen völlig seine eigene Phantasie oder irgendwo Freiheiten beiseite lassen müßte, weil Bach so ein Genie ist. Das ist natürlich völlig falsch.
Das ist natürlich, die haben gedacht, wenn man schon genau davon ausgeht, daß es genauso klingen muß wie geschrieben, dann muß der Bogen anders gewesen sein, denn mit einem anderen, modernen Bogen kann man das nicht so spielen. Und dann ist die Logik fortgefahren auf diesem falschen Ausgangspunkt. Und natürlich ist alles andre nachher auch falsch. Die haben einfache einen Bogen erfunden, mit dem man tatsächlich alle Akkorde so spielen könnte, mit vier Tönen die dann wie ein Harmonium zugleich angehalten werden. Man hat einen Bogen erfunden, der ist erst einmal riesig krumme, und am Frosch ist eine Scharniere und man steckt den Daumen rein und man kann dann die Haare loslassen oder mehr spannen, so daß man die Wölbung vom Steg eigentlich beantworten kann mit weniger oder mehr Spannung des Daumens. Es ist eine furchtbare Erfindung. Es ist absolut unspielbar und es ist auch lächerlich weil es hat nie so was gegeben, nicht einmal in Afrika bei primitiven Instrumenten und die waren wohl klüger als das. Ich meine es ist unspielbar sowas. Es gibt ein paar Schallplatten davon, man hat dann versucht, es gibt glaube ich zwei Aufnahmen mit so ein Ding. Und das klingt, für mich klingt das wie ein schlechtes Akkordeon.
Dann lieber, was auch mache gemacht haben, mit Playback.
Der Theo Olof hat das mal gemacht, früher, daß er alle, die Fugen einfach zweimal aufgenommen daß heißt einmal die oberen Stimmen und dann die andere Stimmen und dann einfach drauf, und dann klingt das genau wie geschrieben, und dann geht auch der Reiz weck, natürlich.Marcellus Menke: Meinen sie denn, daß das von Bach überhaupt beabsichtigt war das durchgehend wie geschrieben klingen zu lassen ?
Sigiswald Kuijken: Absolut nicht! Nie!
Marcellus Menke: Oder ist es nicht gerade so, daß durch die Auswahl, wie man auch sich entscheidet wie man die Akkorde bricht, zum Beispiel, daß man ja dadurch auch interpretiert, und dadurch die Musik ja erste verständliche macht?
Sigiswald Kuijken: Ich glaube, daß man nicht einmal interpretiert, Bach hat es sowiso auch immer so gewußt. Er spielte selber gut genug Geige um zu wissen wie man überhaupt Geige spielte und er hat eigentlich nichts innoviert mit seinen Stücken, er hat einfach sehr weit benützt was schon benutzt wurde, damals. Es gab Zeitgenossen die auch genauso polyphon schrieben wie er das tat, nur nicht in diesen Dimensionen. Und nicht so andauernd, obwohl die Sonaten von Westhoff Violinsolo die sind ganz polyphon, immer durchgängig. Es gibt von Bach Sätze, die weniger durchgängig polyphon sind als diese Sonaten Westhoffs. Sie sind aber viel interessanter und haben die Scheinpolyphonie. Bach ist immer polyphon. Aber nicht buchstäblich, das zwei oder drei Noten zugleich kommen, aber Bach hat einfach die Geige benützt wie alle seine Zeitgenossen. Und man findet nur Evidenz dafür, daß man jeden Akkord von unten nach oben gebrochen hat und man hat die oberste Note angehalten und manchmal die zwei oberen wenn es Sinn hat. Zum Beispiel auch wenn die Melodie unten liegt diese modernere Auffassung, wo man den Akkord spielt und wieder zurück kommt, damit die untere Melodie dann wieder angehalten wird hat man auch nie gemacht. Man findet sowas nie in den Andeutungen der Spielart in der Zeit und es ist auch häßlich. Man braucht es auch nicht, wenn man auf eine Barockvioline spielt ist die Resonanz sowieso auch länger als bei modernen Violine man braucht nicht der Baß, wenn man den in den Finger liegen läßt und den Akkord mit Diminuendo nach oben denkt dann bleibt der Baß auch wenn man den verlassen muß mit dem Bogen, bleibt trotzdem ins Gehirn hängen. Und die Melodie wenn sie unten liegt, ist da.
Marcellus Menke: Könnte man also vielleicht sagen, daß der versuch alles durchspielen zu wollen und nachher auch noch eine Klavierbegleitung dazu machen zu wollen, daß das eigentlich daran liegt, daß man nicht mehr diese Art Musik zu Hören hatte, wie die im Barock das hatten? Also dieses auch den harmonischen Unterbau einfach im Bewußtsein zu haben?
Sigiswald Kuijken: Wahrscheinlich ist das so, hat damit zu tun. Ich glaube aber, daß sogar noch Schumann und Mendelssohn die tatsächlich die Klavierbegleitungen gemacht haben dazu, daß die noch wußten, wie man normalerweise appegierte. Ich glaub nicht, daß die diese Art und Weise die Melodie schon wieder nach unten zu legen ich glaube, daß ist noch viel später als Schumann und Nendelssohn. Nein bei denen ist das nur ein Hommage an Bach gewesen, glaube ich. Die Chaconna mit Klavierbegleitung ist natürlich für uns jetzt ein bißchen überflüssig, obwohl ich hab es einmal ausgeführt mit der Schumann Begleitung und ich muß sagen, mir gefiel das sehr, obwohl das ist natürlich eine ganz andere Bach, man muß dann nicht mehr an Bach denken, aber eher an Schumann denken. Und ich schätzt Schumann so sehr, daß ich da auch keine echten Schwierigkeiten damit habe. Aber natürlich ist das nicht die Lösung um das Problem der Execution von Bach zu lösen. Sowieso nicht. Sowenig wie auch Schönberg mit seien Orchestertranskriptionen von großen Orgeln Fugen von Bach, das ist auch keine Lösung. Das ist das selbe. Er hat keine andere gesehen, weil er fest glaubte .. erstmal die Orgeln waren alle kaputt, glaubte er, zweitens die Organisten waren alle so blöd, daß die sowieso das nicht spielen konnten, oder nicht verstanden, und der hat die Musik so schön gefunden auf Papier, dann hat er gedacht ich muß das dem heutigen Publikum zeigen wie phantastisch die Musik ist. Und er hat geglaubt, es ginge nur so. es ist ein Merkwürdige Glaube. Aber wenn er das denkt, dann muß er es nur tun, er hat's auch getan. Also mich überzeugt es auf Papier mehr als für die Ohren.
Marcellus Menke: Ja, wie ist das mit dem heutigen Publikum? Wenn man sich da mit einer Geige vor das heutige Publikum stellt, und das dann auch mit der historischen Aufführungspraxis vorspielt, welche Reaktionen bekommt man da?
Sigiswald Kuijken: Ausgezeichnet: Mann bekommt immer die Kritik oder die Belohnung oder die Bewunderung die man verdient. Ob man jetzt klassisch oder romantisch oder hyper romantisch oder altmodisch oder neumodisch oder hyper dokumentiert spielt, das Publikum braucht das nicht zu wissen und weiß auch meistens diese Hintergründe wie man bis dahin gekommen ist, und die hören nur zu und zeigen was sie davon halten. Und das ist richtig, und wenn man lebendig musiziert und das kann man genausogut mit Inachtnahme der spieltechnischen Dinge von damals als auch mit unsere moderne Auffassungen, dann sind die Leute einfach gefesselt. Und dann kommt die nächste Frage, es gibt im Publikum jetzt Leute, die sind so dokumentiert, daß sie zum Beispiel eine alte romantische Auffassung von Bach nicht mehr nehmen, und dann meine oder eine der gleichen Interpretation bejahen würden; aber es gibt auch andere. Es gibt noch immer Leute, die bei den alten schwören und diese neuen Dinge verdächtig finden. Es gibt allerhand im Publikum. Und ich finde jeder ist richtig. Man bekommt einfach das zurück was man geboten hat.
Marcellus Menke: Wie ist das für Sie wenn Sie spielen? Hilft ihnen das historische Instrument? Oder gibt es auch bestimmte Sachen, wo sie sagen da ist es doch mit dem modernen Bogen leichter oder ... ?
Sigiswald Kuijken: Es hilft mit durchaus. Weil es ist so eine Einheit, man spürt bei jeder Seite das ist die Einheit von der Musik wie die da aus der Feder von Bach geflossen ist und das Instrument, die Einheit ist so über deutlich, für mich dann, als ein Insider, das ich nur immer Staunen kann darüber, und ich träume überhaupt nicht davon das auf moderne Instrument zu tun, obwohl bestimmt Sachen vielleicht, man hat mit moderne zum Beispiel nicht das Problem, daß wenn man in einen Raum spielt wo es sehr feucht wird, daß die Saiten anfangen zu pfeifen, oder entstimmen. Darmsaiten sind natürlich sensibler. Es gibt ein paar praktische Nachteile. Aber naja gut, das ist dann so.
Marcellus Menke: Wie ist das? Bei Beethoven weiß man ja das er sich bei einem Teil seiner Klaviersonaten schon sehr geärgert hat über den Flügel, den er damals zur Verfügung hatte,
Sigiswald Kuijken: Ja.
Marcellus Menke: Und es eigentlich von der Komposition auch so ist, daß das ein anderes Instrument verlangt, was es damals noch nicht gab, also man tut Beethoven wohl nicht unrecht, wenn man sagt, er währe froh gewesen, wenn er einen modernen Flügel gehabt hätte.
Sigiswald Kuijken: Das ist schon zuviel gesagt. Man kann sagen, er hat tatsächlich, ist dafür bekannt gewesen, daß er mit Instrumentenbau sich auseinandergesetzt hat. Auch Bach, aber mit Orgel, und Cembalo, mit Geige es gibt keine Dokumente darüber, daß irgendwo Bach, also soweit ich weiß eigentlich auch nie Vivaldi oder speziell über Geigen ihre Mißzufriedenheit geäußert hätten. Und den Vorschlag gebracht hätten: wollen wir nicht das und das versuchen? Ich hab wenigstens nichts davon gefunden. Auch nicht echt gesucht, aber es gibt eigentlich ... Wenn es so etwas gäbe, dann währe das schon längst bekannt. Aber sofort sicher, heute wo so viele von diesen Dokumenten werden sofort auf den Markt geschmissen weil sie natürlich interessant sind. Also soweit ich das weiß gibt es da keine Anregungen. Die Geige ist natürlich ein Instrument gewesen, daß sich langsam entwickelt hat. Aber man kann sagen, daß die äußere Form war schon 1600, 1620/30/dreißig schon genau wie 1830 oder 1930. Es ist. Der Corpus ist unverändert, von innen nicht ganz unverändert aber das sieht man nicht so viel. Mit Baßbalken hat man experimentiert, mit dem Stimmstock, auch mit die Stege und so weiter, Halslage und so, das hat man gemacht. Aber ich habe den Eindruck, daß in Bachs Zeit, in dem Milieu wo konzertant gespielt wurde, daß da irgendwo eine Geige geläufig war, mit den die eigentlich recht zufrieden warn. Es gibt natürlich einen Unterschied zwischen der Geige, die man gespielt hat in der Kneipe oder Markplatz, das ist die echte Tanzmusik, wo man tatsächlich sieht, daß der Hals noch kürzer ist und die Geige ist ganz tief angelegt, wie heute noch manchmal Cowboys spielen in Amerika. Man muß natürlich nicht denken, daß Corelli oder Vivaldi genauso gespielt haben. Das ist natürlich nicht echt wahr, oder Bach Herr Westhoff oder weiß ich. Es gibt natürlich dieses Unterschied zwischen Kultur-Geige und Amüsement-Geige.
Marcellus Menke: Wie ordnen Sie den Entwicklung ein, zu höherer Spannung?
Sigiswald Kuijken: Das ist sehr schwierig.
Marcellus Menke: Hängt vielleicht auch mit größeren Räumen zusammen?
Sigiswald Kuijken: Natürlich es hängt damit zusammen und ... Aber jetzt die letzten Jahre bin ich von einem überzeugt, und das ist daß ich weniger und weniger weiß und wissen kann. Und ich habe auch den Eindruck, daß über Instrumente sehr viel ganz neu nachgedacht werden muß. Es gibt noch immer diese Tradition, die auch ich geglaubt haben, über dreißig Jahre her, daß alles was man über Stradivarius oder Steiner so sagt oder geschrieben hat, seit einhundert Jahren, das das einfach Tatsachen währen. Jetzt bin ich aber soweit, daß ich kaum noch etwas davon glaube.
Marcellus Menke: Was sind die Punkte die Ihnen da kritisch erscheinen?
Sigiswald Kuijken: Jetzt bin ich soweit, daß ich nicht einmal glaube, daß noch von einer Geige, eine einzige Geige gesagt werden kann, die sei von Stradivarius oder Steiner, vielleicht, mit ein bißchen Zufall, ja vielleicht schon. Aber wer kann so etwas beweisen? Ich meine, es ist bekannt, daß seit zwei Jahrhunderten die Labelchen, die Etiketten, die sind geflogen von einem Instrument zum anderen. Stradivari war bis Ende achtzehnten Jahrhundert kaum bekannt. Das ist ein Mythos geworden in der Zeit wo man auch geglaubt hat, das Palestrina der Anfang der Musik war. Das ist eine romantische Idee und da brauchte man einen Gott. Der hat natürlich die Geige - es mußte natürlich ein Italiener sein - zu unerhörte Höhen gebracht hätte. Das waren alles Wunschträume und das hat man alles konstruiert, genau wie man in der Zeit Anfang neunzehnten Jahrhundert zum Beispiel auch Schlösser hat gebaut, die waren antike Ruinen. Das ist alles das selbe. Oder das bestimmte Geigenbauer oder andere Instrumentenmacher Kopien gemacht haben von sagen wir antiken Instrumenten nach den Abbildungen aus den griechischen Vasen und so oder römische Dinge. Man hat diese antiken Instrumente gebaut, man hat Renaissance Instrumente gebaut, man hat vielleicht spätrenaissance, man hat Barock Dinge, man hat das unheimlich in einem Aureol gesetzt: Das war es. Und man hat überhaupt nicht exakt wissenschaftlich geforscht, damals. Und sehr viele von diesen Instrumenten, sagen wir Kopien aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert von Renaissance Instrumenten und Frühbarock sind dann am Ende des Jahrhunderts in die ersten Museen gekommen große Kollektionen wie Wien oder Berlin Kopenhagen Brüssel. Und man hat das einfach katalogisiert so als ob das wahr währe. Jetzt sind jedes Jahr so viele Instrumente steigen aus weil man weiß, daß die erst im neunzehnten Jahrhundert gemacht worden sind. Inklusive Flöten. Es gab doch diese eine Flöte in St. Petersburg von der man immer sicher war bis vor zwei Jahren. Jetzt hat sich auch herausgestellt, daß da die Bauweise irgendwo ein Merkmal hat wo es kann nur Frankreich sein aus dem neunzehnten Jahrhundert, wegen irgendwo etwas, ich weiß nicht mehr, oder das selbe mit Stradivari. Wenn sie nach Oxford fahren und sie sehen diese Messija Geige an, die sogenannte Messija, von sogenannten Stradivari: Wenn man ein bißchen mit französichen Geigenbau vertraut ist, und ich war damals, wo ich zu erstenmal da war in zweiundsiebzig, hatte ich seit etwa zehn Jahren eine Schamabation Geige als Instrument für neue Musik, das war einfach das selbe. Ich meine das ist einfach Viom. Da ist nichts von Stradivari daran. Und wenn man dann die Geschichte kennt von dieser Geige, daß ausgerechnet Herr Viom mit seinen Freunden Allarch und all diesen großen Virtuosen, die standen in Verbindung mit ja Leute die Italien durchreisten und immer mit neuen alten Instrumenten kamen - Viom hat immer geschwärmt von diese eine Geige die kommen würde, und die ist noch brandneu hat er immer gesagt, und sie werden sehen wie schön und so alles, und die kam nie, bis eines Tages der Herr Ala, der Geiger, ihm gesagt hat, mit deiner Geige ist etwas los, es ist so wie der Mesija, man redet von ihm und er kommt nie. Das ist die ganze Geschichte von dieser Geige. Und ein bißchen später war sie dann da. Das heißt dann war sie fertig gebaut. Und jetzt, da ist eine kleine Vitrine in Oxford, in der Libary, und dann hat man es soweit getrieben, daß man den sogenannten original Baßbalken, in den kleinen Vitrin auch da auf ein kleine Brettchen exponiert hat. Das ist natürlich fast des Guten zuviel. Also für mich ist das fast ein absurder Beweis von der ganzen Fälschung. Man fragt ja nie soviel und auf einmal, ohne Fragen, bekommt man es. Das ist ja fast eine Entschuldigung im Voraus.
Marcellus Menke: Ja.
Sigiswald Kuijken: Irgendwo ist das ganz, ganz verdächtig. Ich bin überhaupt nicht alleine das zudenken daß diese Mesaja Geige eine französische Meistergeige von Viom oder Umkreis ist. Und so gibt es sehr sehr viele. Und ich glaube man hat einen Codex aufgestellt, so um 1800 bißchen später, das ist von Geigenbauern und Händlern gemacht. Und dann hieß es: das ist Stradivari, das ist Guaneri, das ist das und das und das. Und dieses Codex wird noch immer benützt. Und bei jede Auktion ist noch immer das der Leitrad. Aber nichts davon ist kontrollierbar, richtig oder unrichtig. Es ist völlig absurd. Ich will nur gesagt haben daß das was man Stradivari nennt heute, das sind schöne Geigen oft. Das will ich nicht gesagt haben. Und der Modell das man Stradivari nennt ist ein sehr gutes Modell, wenn es gut gemacht ist. Und es ist sowieso verschieden von dem was man Steiner nennt oder das und das nennt. Also man kann diese Namen benützten als Zettelchen für verschieden Modelle. Aber man kann nicht unbedingt sagen das ist Steiner, echt Steiner Absam 1684, das ist verrückt. Man kann das nicht sagen. Wer will schon beweisen, daß das Zettelchen richtig ist. Ich meine. Und alles andere ist Phantasie. Das Zettelchen ist sowieso Phantasie, weil das wird zum Teil neu geschrieben. Aber das andere, mit dem anderen kann man auch nicht beweisen. Man kann vieles, man kann Ähnlichkeiten entdecken und so. Aber ich bin jetzt soweit, ich glaube einfach nichts mehr von diesen Sachen und ich schaue nur das Instrument noch an und ich fühle schon ein bißchen, ah was ist das fühlen, ob das jetzt sehr alt oder gar nicht so alt ist, ich sage nicht mehr ich glaube das ist italienisch oder deutsch oder französisch. Ich sage einfach daß ich es nicht mehr weiß. Und ich höre zu ob es schön klingt, und das ist es. Das ist ziemlich subversiv als Haltung, aber ich kann auch nichts dafür. Mich überzeugt das andere nicht mehr. Und ich finde es sehr schlimm weil es hat nämlich finanzielle Folgen, wenn man absolut die eine Geige kaufen möchte weil sie so schön ist, und jetzt unglücklicher Weise steht dadrin das das Stradivari sein soll, dann kostet das auf einmal zwanzig mal mehr als wenn das nicht rein stände, oder dreinstand, steht ja überall drin. Was ich sage ist nicht richtig. Wenn aber heute ein Geigenbauer sagt, einer mit viel Autorität, das ist Stradivari, dann bezahlen sie, obwohl er das nur so sagt, aus Tradition und wahrscheinlich auch aus Verabredung mit dem ganzen Milieu, denn es gibt natürlich ein ganzes Milieu und dieses Milieu ist zugleich Richter und vielleicht kann man sagen auch die Kriminelle. Alle Fälschungen werden von dem selben Milieu untersucht oder ... Im Zweifelsfalle sind das dieselben Leute die aussagen mach was da gemacht worden ist. Das ist ziemlich einmalig muß ich sagen.
Marcellus Menke: Ja. Ist vielleicht auch ein bißchen Ausdruck der Tatsache daß so ein romantisches Genie Ideal in die Zeit zurück projiziert wird?
Sigiswald Kuijken: Natürlich.
Marcellus Menke: Wie ist das mit dem Notentext. Das ist ja auch eine ganz.. z.B. bei diesen Bach Sonaten hat man ja den Vorteil daß man ein Autograph hat.
Sigiswald Kuijken: Ja.
Marcellus Menke: Wenn ich jetzt als jemand der mit der romantischen Musik gut vertraut ist das lese, dann weiß ich genau was halbe, ganze und viertel sind und so weiter. Wie ist das mit dem Bachschen Notentext. Kann man daraus wie das geschrieben ist auch ableiten wie der Bogenstrich einzuteilen ist?
Sigiswald Kuijken: Oft schon aber nicht echt! Ich meine man muß die Bindungen, die bei Bach stehen nicht als Bogenstriche sehen. Das sind Artikulationen die genau wie bei Cembalo oder Orgelmusik oder weiß ich andere Vokalmusik. Wenn ein Bogen steht über drei Noten heißt es die sollen zusammengefaßt werden, wie beim Singen in einem Atem ohne das ein Konsonant dazwischen kommt. Das ist alles was das heißt. Das heißt nicht das soll down bow und up bow sein. Das hat damit nichts zutun, im Prinzip. Es gibt andere sehr deutliche Konventionen aus der Zeit, wodurch wir wissen die machen das, wir wissen ob das jetzt ab oder auf gestrichen wird, aber das steh nicht bei Bach drin. Der nimmt es an, daß jeder der sich mit diesen Stücke beschäftigt, der kann ja Geige spielen, als in eine gewisse Tradition ist es eben so und so, und das gibt es verschiedene, es gibt die deutschen aus Bachs Zeit, hätte nicht genau auf die selbe weise Lully gespielt wie es in Frankreich noch üblich war, die haben viele ..., man kann schon sagen, daß die Leute in Deutschland einiges falsch verstanden haben, von der authentische Lully Praxis zum Beispiel. Aber das ist ja,... das sind Raffinements. Es gibt auch einige, die es sicherlich gut gewußt haben. Es gab auch viele französische Tanzmeister, die aus Frankreich, also Hugenotten, die nach Norden ausgewichen waren, und die wußten es ganz genau aus Tradition, haben das dann auch in Deutschland und überall in Europa gelehrt, aber trotzdem, es gab noch immer Mißverständnisse, aber so schlimm ist das nicht. Aber was wir behalten müssen, ist, daß die Bindungen, die bei Bach stehen sind überhaupt nicht damit man spieltechnisch das leichter tun kann, also das sind keine Bogenstriche, der hat sich überhaupt nicht um Bogenstriche gekümmert. Also das heißt man kann immer anpassen, oder man kann auch eine Note in der selben Richtung dabeinehmen und trotzdem artikulieren. Man muß nicht immer hin und her um zu artikulieren. Man kann vieles eingreifen, und man kann sehr deutlich den Geist der Sache folgen. Was das geschrieben ist.
Marcellus Menke:. Welche anderen Hilfen gibt es bei der Interpretation?
Sigiswald Kuijken: Ja. Harmonie. Die Harmonie ist das meiste von der Musik. Man muß glaube ich jedes horizontale Motiv so artikulieren und vortragen das es in Übereinstimmung ist mit der Harmonie auch wenn es keine gibt. Wenn es keine gibt, gibt es wenigstens eine im Gedächtnis. Jedes Thema in Bachs Zeit ist tonal. Auch wenn er nur eine Melodie geschrieben hat, kann man eine Begleitung darauf denken, auch wenn er sie verschwiegen hat. Und die muß man dann nachfolgen. Die Harmonik bestimmt alles. Wenn ein Dissonant kommt, der muß angefaßt sein, der ist wichtig. Die Musik ist eine Wechselung von Dissonant und Konsonant. Man bringt etwas Aufregung und man befriedet das wieder. Das ist in zwei Wörter eigentlich das einzige was Musik tut. Wenn sie nur Konsonant hätten würden sie einfach einschlafen. Wenn sie nur Dissonant hätte ist es sehr fragwürdig, das ist jetzt die Krise in unserer Musik, es ist der ganze Begriff verändert, Dissonant-Konsonant gibt es fast nicht mehr, in unsere heutigen Sprache, aber damals ist sehr deutlich das bis ... bis eigentlich das die Grenze kommt wo man die Tonalität verläßt, muß man die Musik harmonisch betrachten.
Und dann ist es nicht schwierig. Dann sieht man schon welche Noten neu angesetzt werden müßte, oder könnte ... Es gibt natürlich immer wieder der Geschmack, der dazwischen kommt. Es gibt so viele Sachen, (die) sind fast gesetzmäßig bestimmt von der Harmonie.Marcellus Menke: Also das heißt, daß sie davon ausgehen daß eigentlich die Struktur von Musik wie die Struktur von einer Sprache ist und daß wenn man das ließt man diesen Notentext versteht?
Sigiswald Kuijken: Ja Absolut. Ja man kann das wohl lesen. Ich finde man muß lernen so zu lesen. Musik hat seine Grammatik. Man sagt immer ganz blöd. "Musik ist eine Sprache" Ja das ist wahr aber man kann noch weiter gehen. Man kann präzisieren. Es hat seine eigene Grammatik im schrieben und im ausführen. Und das muß die selbe Grammatik sein. Ich meine, die Grammatik, die der Komponist gebraucht beim schrieben, seine Respekt, seine Struktur harmonischen korrekte Sachen die muß man einfach nachverfolgen beim Spielen. Und natürlich wird das nicht genügen, aber das ist das Gerüst das dasein muß. Und nur darauf kann man versuchen etwas persönlich zu interpretieren, wenn es dann noch braucht. Aber je besser die Musik ist je öfter ist es der Fall daß man wenn man die Sprache echt spricht mit seine ganze Grammatik einbegriffen, daß man dann kaum zu interpretieren braucht. Nicht daß ich jetzt sagen will objektiv spielen oder so, das gibt es auch nicht, aber meistens kommt dann das zusammen: Das lebendige Moment des Komponieren kommt dann genauso lebendig zurück beim Spielen und was soll dann noch meine eigene Interpretation. Ich meine wenn ich die Sprache richtig spreche, dann bin ich schon ganz froh. Und dann sage ich eigentlich nur was er geschrieben hat. Was muß ich noch mehr, ich muß doch nicht ändern was er geschrieben hat, um zu sagen jetzt bin ich mal ganz froh und stolz ich habe jetzt was anderes gesagt als was er gesagt hat dann hätte ich vielleicht selber etwas schreiben müssen, statt das zu spielen was er geschrieben hat.
Marcellus Menke: Ja. Wir haben ja heute die relativ strenge Arbeitsteilung zwischen dem Komponisten, der zwar auch ein Instrument spielen kann, aber gar nicht einmal notwendigerweise, und die meisten Komponisten nicht unbedingt in Konzertpraxis, so sehr theoretisch eigentlich fixiert und zwischen dem Musiker. Bei Bach war es ja ganz eindeutig, daß er voll praktizierender Musiker war und mit der selben Selbstverständlichkeit auch Komponist.
Sigiswald Kuijken: Ja, absolut.
Marcellus Menke: Hilft das? Oder muß man mit dieser Einstellung auch an die Musik herangehen?
Sigiswald Kuijken: Ich denke ja. Man muß sich bedenken, daß was er geschrieben hat war nicht irgendwie abstrakt aus seiner Inspiration oder so wie das heute sein könnte, daß heute ein Komponist irgendwo ein bißchen, nicht weltfremd, aber fremd an dem Instrument was er dann benützt oder fremd an der Situation von Musiker heutzutage weiß ich viel der schriebt so etwas irgendwo in der Luft, was abstraktes. Nein damals war das sehr kurz bei, es war ganz nah bei, ich mein niemand hat etwas geschrieben was er selber als unmöglich zu spielen glaubte ich nein da bin ich davon überzeugt. Es ist ja auch so absurd. Man muß bedenken, daß die Leute damals alle fünf, sechs, sieben Instrumente spielten. Vielleicht nicht alles bis zuende. Ich glaube, daß Bach je etwas geschrieben hat von dem er dachte, daß kann keiner spielen. Das find ich ist ein romantischer Gedanke.
Marcellus Menke: Etwa ein Komponist der etwas so schwieriges schreibt, daß kein Instrumentalist es spielen kann?
Sigiswald Kuijken: Ich glaube so etwas sehen sie auch nicht in den anderen Künsten aus der Zeit. Es gibt keine Literatur bei der man fühlt: das hat der jetzt geschrieben damit niemand das verstehen kann, zum Beispiel. Oder es gibt keine Malerei aus der Zeit die so gemacht ist, damit keiner da was tun kann. So intellektuell oder so "blöd" waren die Leute damals nicht.
Marcellus Menke: Sie würden dann auf jeden Fall also auch sagen, daß Bach die Sachen auch selber gespielt hat.
Sigiswald Kuijken: Das glaube ich schon. Es gibt auch keine Anweisungen wer sonst. Das ist natürlich keine Beweis, aber Bach war in den Jahren, er war Konzertmeister in Dresden, also ein Jahr vor Köthen war Dresden und Weimar und alles. In diesen Jahren hat er viel gegeigt. Und auch viel geschrieben für Geige. Das Handschrift sagt 1720, aber wahrscheinlich ist es in drei Jahren vorher angelegt worden und nur die Reinschrift ist 1720 gewesen. Aber das ist dann eigentlich schon Endpunkt. Von da an hat er dann wahrscheinlich viel weniger Geige gespielt, zufälliger Weise. Nachher kam dann Leipzig, natürlich hat er noch ein bißchen gegeigt. Aber nicht mehr so; solistische Sachen waren glaube ich vorbei.
Marcellus Menke: Man merkt dann auch in den Stücken sehr viel, daß Bach Geiger war?
Sigiswald Kuijken: Absolut! Es gibt einiges was brillant auf der Geige erfunden ist. Es gibt einiges wo man sagen muß, daß ist zwar möglich aber nicht so evident. Aber wenn man weiß wie Bach so spekulativ ist in allen Sachen, braucht man sich nicht zu wundern daß er auch da versucht hat bis an die Grenze zu gehen. Aber er geht nie darüber.
Marcellus Menke: Und was sind das für Sachen zum Beispiel, wo ist das brillant für Geige?
Sigiswald Kuijken: Ach es gibt ... Die Ciaconna zum Beispiel, ist ein sehr geigerisches Stücke. Die Fugen sind weniger geigerisch. Die sind natürlich viel theoretischer, aber es gibt natürlich auch da sehr brillante Abschnitte. Die Divertiment Dinger wo das Thema einmal ein bißchen losgelassen wird, wo man ein bißchen mehr frei Phantasie hat, da ist immer eher die Geige direkt idiomatisch dabei, dann kommt er zurück zu den Fugenthemenbehandlungen, das ist immer mehr Theorie. Das ist an sich begreiflich.
Marcellus Menke: Wie ist das Verhältnis von, oder wie sehen sie bei Bach das Verhältnis von praktizierter Musik und von dieser theoretischen, abstrakten Musik sozusagen. Es gibt ja Leute, die sagen, Bach ist eigentlich so eine gewisse Art von Kopfmusik, sehr intellektuell.
Sigiswald Kuijken: Es gibt solche Stücke. Die Kunst der Fuge oder musikalisches Opfer, das würde ich fast damit einstimmen. Es ist vielleicht nicht sicher, daß er das geschrieben hat um in erster Linie spielen zu lassen, oder selber zu spielen. Da war natürlich die Leistung für selber schon auch, daß er das einfach gefunden hat. Das er gezeigt hat, was man mit so einem Thema tun kann. Und es war ihm wahrscheinlich jetzt ziemlich egal, ob das gespielt wurde oder nicht. Aber bestimmt nicht, daß er dagegen gewesen währe. Das ist wieder so etwas absurdes. Aber das ist keine echte Spielmusik. Man kann sie aber gut spielen. Und die Solosonaten die finde ich doch aber spielbarer oder eher gedacht für das spielerische Moment als ein Musikalisches Opfer zum Beispiel.
Marcellus Menke: Und jetzt bei den Solosonaten die sind ja auch - wir hatten beben schon ein bißchen über Konstruktion gesagt -, die sind ja auch im Zyklus, zumindest in der 1720er Handschrift auch bewußt angeordnet. Und auch nicht so alphabetisch, alle Sonaten, dann alle Partiten, sonder auch immer im Wechsel und mit den Tonarten auch in einer bestimmten Spannung ..
Sigiswald Kuijken: Ja er hat immer solche... , wenn er eine Kollektion freigegeben hat gibt es immer bei ihm mögliche Betrachtungen über eine höhere Struktur, über die Stücke hinaus. Ich bin nicht sicher ob das so wichtig ist, aber es ist, man kann immer spekulieren. Er hat selber auch so gerne spekuliert. Das ist nicht schlimm. Aber für mich hätten die Stücke auch in einer anderen Reihenfolge stehen können. Das währ' für mich kein Unterschied gewesen. Aber es ist schön, eine Sonate, dann eine Partita, dann die zweite Sonate, die zweite Partita und so weiter. Und auch bei dem ersten Druck bei Simenrock in Bonn 1802 hat man das auch anders verstanden, da hat man gedacht, die erste Sonate ginge bis inklusive die erste Partita. Man hat gedacht es sind nur drei Sonaten, wobei jede Partita als Anhang zu der Sonate gegolten hätte. Das ist natürlich ein bißchen dumm weil mit Tonarten hat das keinen Sinn. Man kann nicht die h-moll Partita als Anhang von der g-moll Sonate sehen. Da gibt es kein Band, wirklich; und solche Dinge. Aber na ja. Ich finde das nicht so ganz wichtig. Aber schön ist diese Art Abwechslung und Symmetrie und etwas Gesetzmäßiges. Ein System hat bei Bach immer einen Reiz.
Marcellus Menke: Wie ist das für ein Konzert? Empfiehlt sich das im Konzert das auch so zu machen?
Sigiswald Kuijken: Man kann sie nicht alle sechs spielen.
Marcellus Menke: Nein man könnte ja aufteilen, zwei Konzerte
Sigiswald Kuijken: Ja, tu ich immer so, ich mach immer zwei Konzerte, aber ich hab noch nicht die ideale Kombination gefunden. Ich glaube es gibt keine ideale Kombination. Welche drei und welche drei andere. Man kann vieles machen. Man könnte sehr logisch sein und sagen ich spiele heute die drei Sonaten und morgen die drei Partiten. Aber das ist ein bißchen blöd. Weil dann hat man drei Fugen dreimal so einen schweren Satz, auch für das Publikum, und ich finde es fast unhöflich, daß man das den Leuten zumutet. Also ich mach lieber so daß ich höchsten zwei Fugen und dann die zweite Partita. Das gibt als große Stücke natürlich die Fugen sowieso und dann die Ciconna. Dann gibt es die E-Dur und die H-Dur und die h-moll Partiten, die haben nicht so einen großen Satz, die sind mehr spielerisch im ganzen, die kann man dann überall hinsetzten. Aber ich würde jedes Programm so machen, daß von den vier großen Stücke, daß in jedem Programm zwei kommen. Also entweder zwei Fugen oder dann Ciaconna und Fuge. Ich meine man muß nicht übertreiben.
Marcellus Menke: Wie ist das? Sie gehören ja zu den wenigen Geigern die das auch im Konzert eben machen. Viele, ja auch Kollegen von ihnen, die auf modernen Instrumenten spielen, spielen ja zumindest einige Sätze sehr gerne nach einem romantischen Violinkonzert als Zugabe. Aber wie ist das, versteht man die Sücke dann besser, wenn man die in einem Konzert im Zusammenhang spielt?
Sigiswald Kuijken: Soweit man überhaupt Musik verstehen kann. Ich weiß nicht ob man das so sagen kann, ob man das versteht. Man kann es bejahen, ja vielleicht kann man sagen verstehen wenn sie das selbe damit meinen, dann ist es gut. Verstehen währe für mich etwas, daß ich einsehe was er sagen wollte damit. Soweit kann ich nicht mitkommen. Ich weiß nicht was Bach sagen wollte, z.B. der g-moll Fuge, ich weiß nicht was das bedeutet, das hat keine Botschaft, hat keines Message. Wie kein einziges Stück von ihm hat so eine ..., also das hat es nie, es ist nur eine phantastische Schönheit, die man bekommt. Und die kann ich fühlen, die kann ich bejahen, kann ich irgendwo mitmachen und sehe, ja ich verstehe das wenn man so macht und nachher so dann ist eine schöne Balance und das und das und der ganze Discours, der ganze Verlauf das ist prima, schön, und ich sehe das geht von Tonika nach Dominant und ich kann es analysieren und kann alles sagen prima, ja in Ordnung, bleibt aber die Frage was hat er sagen wollen. Die kann man trotz aller Analyse nicht beantworten. In dem Sinne kann man nicht sagen ich verstehe Musik.
Marcellus Menke: Sie sind ja jemand der auch theoretisch, und wissenschaftlich und intellektuell mit Musik beschäftigt hat, aber sie würden trotzdem sagen, das eigentliche Wesen von Musik liegt davor?
Sigiswald Kuijken: Es ist Mysterium. Glücklicherweise. Ich meine auch mit alle wissenschaftliche Bemühungen sind Gott sei dank so imperfekt und so relativ unwichtig, daß man nicht zu einem Punkt kommt wo man sagen könnte, jetzt ist es bewiesen worden, so und so soll es sein. ich meine wenn das mal kommen würde, dann währe das das Ende, dann währe alles andere sinnlos, oder man müßte dann ganz brutal sagen, die ganze wissenschaftliche Sache interessiert mich nicht. Das währe auch extrem, meine ich. Aber glücklicherweise wird man nie so weit kommen. Die Musikwissenschaft ist nur eine halbe Wissenschaft, glücklicherweise. Man hat nur Theorien und einiges kann man schon, man kann mathematische Dinge und man kann Analysen machen, aber im Grunde bringt das nie einen Beweis von irgendwo etwas, was man auch sagt davon. Ich bin immer sehe skeptisch.
Marcellus Menke: Also sie sehen das als Hilfe, aber letztendlich ist ihr intuitiver Zugang zur Musik auch der wichtigerer.
Sigiswald Kuijken: Ja Absolut. Ich finde auch, daß in der Musikologie unwahrscheinlich viel Quatsch erzählt wird. Absolut. Und auch viele Analysen sind nicht interessant, ich meine hat nichts zu tun mit der Aussage vom Stück. Sie sind vielleicht schon wahr, aber ich habe zum Beispiel Analysen gesehen von Schubert Liedern wo man einfach prozentuell sagt, soviel Prozent Achtel-Noten, und sechzehntel und so weiter. Oder mit dem Text so viel mal Artikel, soviel mal Adjektiv, soviel mal ..., als ob das dann das Stück beschreiben könnte. Das ist doch Unsinn.
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